Derivate – Glückspiel an der Börse?
Inhalt
Das Wichtigste in Kürze
- Derivate sind Finanzinstrumente, mit denen auf die Entwicklung eines Basiswerts spekuliert wird. Dieser kann eine Aktie, eine Anleihe, ein Rohstoffpreis, ein Zins oder vieles weitere sein.
- Anstatt den Basiswert selbst zu kaufen, schließt man eine Wette auf dessen Entwicklung ab. Dadurch kann man bereits mit geringen Anlagesummen an den Entwicklungen partizipieren.
- Aufgrund der Hebelwirkung von Derivaten sind neben hohen Gewinnen auch der Totalverlust des eingesetzten Kapitals möglich. Bei manchen Derivaten besteht sogar eine Nachschusspflicht, das heißt, man kann sogar mehr verlieren, als man insgesamt eingesetzt hat.
- Die häufigsten Derivate sind Optionen, Swaps, CFDs und Aktienanleihen.
- Derivate können neben der Spekulation auch für die Absicherung von Risiken verwendet werden.
Was sind Derivate?
Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Preis von der Entwicklung eines sogenannten Basiswerts abhängt. Dieser Basiswert, auch Underlying genannt, kann in der Praxis alles Mögliche sein: Eine Aktie, eine Anleihe, ein bestimmter Zins, eine Kennzahl, der Preis von Rohstoffen wie z.B. Öl, oder auch ein ganzer Index. Steigt oder fällt der Kurs des jeweiligen Basiswerts, tut dies auch der Wert eures Derivats, und zwar überproportional. Das liegt daran, dass Derivate mit Hebelwirkungen arbeiten. Anstatt nämlich den Basiswert direkt zu kaufen, schließt ihr mit eurem Derivat eine Wette auf die Kursentwicklung ab.
Dazu ein Beispiel: Kauft ihr Silber und der Silberpreis steigt von 100€ auf 110€, hättet ihr eine Rendite von 10% erzielt. Ein Derivat, welches den Silberpreis im Verhältnis 1 zu 10 abbildet, könnt ihr jedoch beispielsweise schon für 10€ erwerben. Steigt dann der Silberpreis von 100€ auf 110€, steigt auch der Wert eures Derivats um 10€, also auf insgesamt 20€ an. Eure Rendite beträgt in diesem Fall 100%. Das Derivat hätte also in diesem Fall eine zehnfache Hebelwirkung.
Das Beispiel zeigt direkt einen großen Vorteil von Derivaten auf: Man kann mit einem vergleichsweise geringen Einsatz von der Preisentwicklung teurer Basiswerte profitieren. Durch die Hebelwirkung kann man in kurzen Zeiträumen sehr hohe Renditen erzielen. Die Sache hat jedoch auch einen Nachteil: Der Hebel wirkt auch in die andere Richtung. Fällt der Silberpreis auf 90€, ist euer Derivat nichts mehr wert und ihr habt euer gesamtes Investment verloren.
Derivate mit hoher Hebelwirkung werden daher auch häufig als „Zockerei“ oder „Spekulationsgeschäfte“ bezeichnet. Um Derivate erwerben zu können, benötigt ihr zunächst ein Depot bei einer Bank oder bei einem Broker.
Derivate arbeiten oft mit dem Prinzip der Hebelwirkung. Dadurch sind hohe Gewinne und Verluste möglich.
Die wichtigsten Derivate
Optionen
Der Name verrät schon, was sich hinter diesem Derivat verbirgt. Eine Option gibt dem Käufer das Recht, einen Basiswert zu einem vorher festgelegten Optionspreis zu kaufen oder zu verkaufen. Bei Optionen handelt es sich um Termingeschäfte, da diese zeitlich verzögert ausgeführt werden. Eine Option kann entweder nur an einem bestimmten Fälligkeitsdatum ausgeübt werden (europäische Option) oder jederzeit zwischen Erwerb und dem Fälligkeitsdatum (amerikanische Option). Es gibt immer einen Käufer der Option (Optionsnehmer) und einen Verkäufer der Option (Stillhalter oder Optionsgeber).
Erwartet ihr, dass eine bestimmte Aktie in Zukunft steigen wird, könnt ihr eine Kaufoption (Long Call) für diese Aktie von einem Optionsverkäufer erwerben. Dieser ist sozusagen euer Gegenspieler bei der Wette. Liegt der Aktienkurs gerade bei 100€, verkauft der Optionsverkäufer euch die Option, diese Aktie in zwei Wochen zum Preis von 105€ von ihm zu kaufen. Zusätzlich zahlt ihr dem Verkäufer vorher eine Optionsprämie von 5€. Liegt der Kurs in zwei Wochen bei 120€, könnt ihr die Aktie vom Optionsverkäufer für 105€ erwerben und habt dadurch insgesamt 10€ Gewinn (120-105-5) gemacht. Bleibt der Kurs jedoch bei 100€, übt ihr euer Recht, die Aktien für 105€ zu erwerben, natürlich nicht aus und habt dann insgesamt einen Verlust in Höhe der Optionsprämie von 5€ gemacht.
Verkaufsoptionen
Erwartet ihr, dass ein Aktienkurs fällt, könnt ihr eine Verkaufsoption für die Aktie erwerben (Long Put). Hier verpflichtet sich der Optionsverkäufer, euch die Aktien zu einem festgelegten Preis in Zukunft abzukaufen. Fällt der Aktienkurs beispielsweise auf 80€, könnt ihr euch am Fälligkeitstermin die Aktie für 80€ kaufen und der Stillhalter ist verpflichtet, sie euch für 95€ abzukaufen.
Verkaufsoptionen bieten einem also die Möglichkeit, von sinkenden Kursen zu profitieren. Der Vorteil beim Kauf von Optionen ist, dass das eigene Verlustrisiko begrenzt ist. Im schlimmsten Fall übt man die Option nicht aus und hat lediglich die Optionsprämie verloren. Ist man jedoch Verkäufer einer Option (also Stillhalter), kann der Verlust theoretisch unendlich hoch sein, falls der Kurs des Basiswerts in der Zwischenzeit extrem angestiegen (Call Option) oder gefallen (Put Option) ist.
Bei Optionen gibt es immer eine Gegenpartei, die mit euch das Geschäft eingeht.
Swaps
Bei Swaps handelt es sich um außerbörslich gehandelte Derivate, bei denen zukünftige Zahlungsströme ausgetauscht werden. In der Regel werden Swaps nur zwischen Banken oder zwischen Banken und internationalen Unternehmen gehandelt. Die häufigsten Swaps sind Zins- oder Währungsswaps, mit denen sich Banken gegenüber einem möglichen Anstieg der Zinssätze oder einer Änderung der Wechselkurse absichern.
Darüber hinaus können aber auch Kreditrisiken mit sogenannten Credit Default Swaps abgesichert und gehandelt werden. Banken verkaufen dadurch das Risiko ihrer Kreditnehmer an eine als Sicherungsnehmer bezeichnete Vertragspartei. Die Bank zahlt eine einmalige Prämie und erhält dafür vom Sicherungsnehmer eine Ausgleichszahlung, wenn einer ihrer Schuldner ausfällt.
Bei Swaps werden also bestimmte Risiken gegen kalkulierbare Werte getauscht: Ein variabler Zins gegen einen festen Zins, ein schwankender Fremdwährungskurs gegen einen vorher festgelegten Kurs oder ein Kreditausfallrisiko gegen eine festgelegte Einmalzahlung.
CFDs
„Contract for Difference“ oder CFDs sind Derivate, deren Wert von der Kursdifferenz des Basiswerts abhängen. Ihr kauft nicht den jeweiligen Basiswert, sondern schließt lediglich einen Vertrag mit eurem Broker über die Auszahlung der Kursdifferenzen ab. CFDs werden nur außerbörslich gehandelt (over the counter – OTC).
Von dem Wert der CFD-Position, die ihr eingeht, müsst ihr bei eurem Broker nur einen Teil hinterlegen, der Rest stellt euch der Broker als eine Art kurzfristiger Kredit zunächst zur Verfügung. Die Summe, die ihr beim Broker selbst hinterlegen müsst, wird auch als Security Margin oder Initial Margin bezeichnet. Je geringer diese Margin verglichen mit dem Wert eurer CFD-Position ausfällt, desto höher ist die erzielte Hebelwirkung.
Beispiel: Beträgt der Betrag, den ihr beim Broker als Sicherheitsleistung hinterlegt habt, 500€ und ihr erwerbt einen CFD, der die Entwicklung einer Aktie im Verhältnis 1 zu 100 abbildet, ergibt sich ein Hebel von 100 und eure Positionsgröße würde 50.000€ betragen. Obwohl ihr nur 500€ hinterlegt habt, realisiert ihr Gewinne oder Verluste, als ob ihr 50.000€ in die Aktie investiert hättet. Je höher der Hebel, desto höher sind die potenziellen Gewinne, aber auch die Verlustrisiken. Wenn die Aktie im Beispiel um lediglich 1% sinkt, läge eure Position nur noch bei 49.500€. Ihr hättet also 500€ Verlust gemacht und damit euer gesamtes Geld verloren.
Außerdem besteht bei CFDs eine Nachschusspflicht. Sinkt die Aktie um 10%, beträgt die Position nur noch 45.000€. Es kommt zum sogenannten Margin-Call und eure Bank fordert euch auf, die Sicherheitsleistung beim Broker zu erhöhen. In diesem Fall müsstet ihr mindestens 4500€ zusätzlich einzahlen, um eure Schulden zu begleichen. Mit CFDs könnt ihr also nicht nur euer eingesetztes Kapital verlieren, sondern darüber hinaus eine theoretisch unendlich große Schuldenposition aufbauen.
CFDs sind risikoreiche Spekulationsobjekte, mit denen ihr euer gesamtes Vermögen verlieren könnt.
Aktienanleihen
Im Gegensatz zu einer klassischen Anleihe, bei der man am Ende der Laufzeit den Nennwert der Anleihe ausgezahlt bekommt, kann der Herausgeber einer Aktienanleihe sich dazu entscheiden, den Wert der Anleihe am Ende der Laufzeit in Aktien auszuzahlen anstatt in Cash. Bei einer Aktienanleihe wird vorher ein Bezugsverhältnis festgelegt, wie viele Aktien man am Ende der Laufzeit als Auszahlung erhält.
Genau wie bei klassischen Anleihen erhält man dafür, dass man dem Unternehmen sein Kapital überlässt, eine festgelegte jährliche Zinszahlung. Während der maximal mögliche Gewinn mit Aktienanleihen gedeckelt ist, ist es möglich, einen Großteil seines Investments zu verlieren. Wir betrachten drei Szenarien:
Bezugsverhältnis 1:100, Zinssatz 5%, Laufzeit 1 Jahr, Nominalbetrag der Anleihe 100€, Aktienkurs 1€
Szenario 1: Der Kurs der Aktie ist am Ende des Jahres von 1€ auf 1 Cent gesunken. Der Emittent entscheidet sich also dazu, euch anstatt eurer 100€ stattdessen 100 Aktien auszuzahlen. Diese sind insgesamt jedoch nur 1€ wert. Hinzu kommen noch 5€ an Zinsen, die ihr erhaltet. Von euren 100€ Investment sind nach einem Jahr nur noch 6€ übrig.
Szenario 2: Der Kurs der Aktie liegt nach einem Jahr unverändert bei 1€. Unabhängig davon, ob der Emittent euch nun 100 Aktien oder euer Investment in Höhe von 100€ auszahlt, erhaltet ihr nach einem Jahr zusammen mit den Zinsen insgesamt 105€.
Szenario 3: Der Kurs der Aktie hat sich innerhalb des Jahres auf 2€ verdoppelt. Der Emittent entscheidet sich in diesem Fall, euch eure 100€ auszuzahlen, anstatt euch Aktien im Wert von 200€ zu geben. Auch hier habt ihr am Ende der Laufzeit insgesamt 105€ erhalten.
Warum sollte man also Aktienanleihen anstatt von klassischen Anleihen erwerben, bei denen der Gewinn ebenfalls gedeckelt ist, aber dafür Verluste nicht möglich sind? Die Antwort ist, dass bei Aktienanleihen deutlich höhere Zinssätze für die Inkaufnahme des möglichen Verlustrisikos angeboten werden. Man muss also abwägen, ob der höhere Zinssatz das zusätzliche Risiko wert ist.
Einsatz von Derivaten
Mit Derivaten werden vor allem zwei verschiedene Strategien verfolgt:
Zunächst eignen sie sich hervorragend als Spekulationsobjekte. Menschen, die bereit sind, hohe Risiken einzugehen, und die den Verlust ihres eingesetzten Kapitals verkraften können, nutzen Derivate, um innerhalb von kurzen Zeiträumen hohe Gewinne zu erwirtschaften. Es gibt eine eigene Anlagestrategie, das sogenannte Daytrading, bei der hauptsächlich Derivate verwendet werden.
Die zweite Einsatzmöglichkeit von Derivaten ist die als Hedging bezeichnete Strategie, bei der die Risiken des eigenen Portfolios reduziert werden. Hält man viele Aktien eines Unternehmens, kann man zum Beispiel gleichzeitig eine Put Option für die Aktie dieses Unternehmens erwerben. Steigt der Kurs weiter an, wird die Put Option zwar wertlos, aber man profitiert aufgrund der Kurssteigerung weiterhin von den Aktien, die man bereits besitzt. Fällt der Aktienkurs, sinkt zwar der Wert der Aktien in eurem Portfolio, aber dafür wird eure Put Option nun profitabel.
Ihr setzt also gleichzeitig auf den Anstieg und den Fall des Aktienkurses. Dadurch sinken zwar eure Renditechancen, da immer eine eurer Positionen an Wert verlieren wird, aber ihr reduziert auch gleichzeitig das Gesamtrisiko eures Portfolios. Vor allem Unternehmen oder Banken, die hohe Summen anlegen, gehen häufig im Rahmen des Hedgings Gegengeschäfte ein, um mögliche Verluste zu begrenzen.
Durch die Hedging-Strategie lässt sich mit Derivaten das Gesamtrisiko des eigenen Portfolios reduzieren.
Fazit
Derivate klingen zunächst in vielerlei Hinsicht reizvoll. Durch den Hebeleffekt kann man mit geringen Summen eine hohe Position abbilden und beträchtliche Gewinne erzielen. Während klassische Anlageformen wie Aktien, Fonds oder ETFs sich meistens erst ab einem Anlagehorizont von einigen Jahren richtig lohnen, können Derivate auch für den kurzfristigen Handel genutzt werden. Wer Daytrading betreibt, kauft und verkauft mehrere Derivate innerhalb eines einzigen Tages. Außerdem kann man mit Derivaten nicht nur auf steigende, sondern auch auf fallende Kurse spekulieren.
Doch immer, wenn einem viel Geld mit wenig Einsatz und über einen kurzen Zeitraum versprochen wird, sollte man vorsichtig werden. Es hat seinen Grund, dass Derivate als Spekulationsobjekte bezeichnet werden und zudem für die Verschärfung mehrerer Finanzkrisen verantwortlich gemacht wurden.
Die meisten Derivate werden außerhalb der Börse gehandelt und sind daher weniger reguliert. Wer mit Hebeln arbeitet, darf sich nicht darüber wundern, wenn selbst kurzfristige Marktschwankungen zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals führen. Darüber hinaus ist der Verlust bei manchen Derivaten nicht einmal auf das eingesetzte Kapital begrenzt, sondern kann theoretisch sogar zu unendlich hohen Schulden führen.
Aufgrund ihres kurzfristigen Anlagehorizonts eignen sich Derivate weder für die langfristige Kapitalbildung noch für Sparpläne. Derivate sind zudem relativ kompliziert, da ihr Preis von verschiedenen Faktoren wie zum Beispiel der Restlaufzeit abhängig ist. Gerade Anfänger sollten daher einen weiten Bogen um Derivate machen.
Wer dennoch in Derivate investieren möchte, sollte vorher genau recherchieren, wie die einzelnen Finanzinstrumente funktionieren und sich mit den wichtigsten Begriffen vertraut machen. Außerdem gilt es, nur Geld zu investieren, auf das man notfalls verzichten kann.